Psychische Belastungen bei Lernenden – Hilfestellungen für Lehrkräfte

Ziel des StartChancen-Programms ist es, das schulische Umfeld zu stärken und Lernende zu unterstützen. Dafür soll die Einbindung verschiedener Professionen durch multiprofessionelle Teams gefördert werden. Der erste Schritt zur Unterstützung Lernender mit psychischen Belastungen beginnt im Klassenzimmer: Als Lehrkraft haben Sie die Möglichkeit, Warnsignale frühzeitig zu erkennen und erste Maßnahmen in die Wege zu leiten. Mithilfe von gegenseitiger Unterstützung und Fortbildung im Team und außerschulischen Hilfsangeboten bauen Sie an Ihrer Schule ein Netzwerk zur psychosozialen Unterstützung von Heranwachsenden auf.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Kapitel von Dr. Katja Bonardi, Judith Junk und Alix Puhl aus dem Buch „Erfolgreich unterrichten in Krisenzeiten – Materialien, Tipps und Strategien für Lehrkräfte: Krisen verstehen, im Unterricht erarbeiten und Gemeinschaft stärken“ welches am 28.08.2024 bei RAABE erschienen ist.

© Liudmila Chernetska / iStock / Getty Images Plus

Mentale Gesundheit

Was können wir Lehrkräfte konkret tun, um auf die Nöte der Schülerinnen und Schüler adäquat zu reagieren?

Die Gesundheitserziehung ist eines der Bildungs- und Erziehungsziele u. a. an hessischen Schulen (vgl. HSG § 6, Abs. 4), das in die alltägliche Unterrichtspraxis implementiert sein soll. Um die physische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler zu fordern, tun Schulen bereits einiges: Angefangen mit dem Sportunterricht über Kariesprophylaxe bis hin zur Sexualerziehung in Biologie wird dem Grundrecht Rechnung getragen, sich des „bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen“ (weiterführende Infos des Bundesministeriums für Gesundheit: https://raabe.click/Gesundheitspolitik). Allerdings liegt der Schwerpunkt hier vor allem auf dem körperlichen Wohlbefinden. Die psychischen und sozialen Komponenten werden zunächst außer Acht gelassen.

Nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer leiden bis zu 20 % aller Heranwachsenden mindestens einmal an einer psychischen Erkrankung wie Depressiven Störungen, Angst-, Sucht- und Essstörungen, ADHS oder haben – deutlich seltener – eine Entwicklungsstörung, z. B. eine Autismus-Spektrum-Störung (vgl. bptk 2020). Das wird häufig sowohl von den Betroffenen als auch von den Eltern als sehr belastend empfunden, zumal diese Erkrankungen mit Angst, Scham und Schuldgefühlen einhergehen können und die Prognosen oft ungewiss sind.

Wie kann Schule bei psychischen Problemen unterstützen?

Wichtig: Für uns Lehrkräfte ist es unerheblich, was genau die Ursachen sind. Für uns ist einzig und allein zentral, psychische Krisen zu erkennen – Diagnostik und Behandlung obliegt dann den Profis.

Das bedeutet: Wir müssen die Frühwarnsignale erkennen, einordnen und bewerten können und dann handeln.

Immer mehr Schulen machen sich auf den Weg, um ein tragfähiges Netz zur psychosozialen Unterstützung von Heranwachsenden in Krisensituationen zu spinnen. Das geht über die Schulpsychologie oder die obligatorischen Krisenteams hinaus, die für den Fall einer Extremsituation wie eines Amoklaufs oder eines Suizids zusammenkommen: Es gibt inzwischen zahlreiche Schulen, an denen sich multiprofessionelle Teams gegenseitig unterstützen, sich durch Fortbildungen professionalisieren oder kollegiale Beratung ausprobieren. Diese Teams, zumeist bestehend aus Sucht- und Gewaltprävention, Verbindungslehrkräften, Schulseelsorge und der (für viele Gymnasien neuen) Schulsozialarbeit, stehen Schülerinnen und Schülern auch in psychischen Krisen bei. Dadurch entlasten sie den Unterrichtsalltag und helfen, Schulabsentismus, Repetentenzahlen sowie Schulformwechsel zu reduzieren. Viele Schulen und Institutionen versorgen die ihnen anvertrauten jungen Menschen zudem mit Hilfsangeboten, wie die Vielzahl der online zur Verfügung stehenden Informationen eindrücklich belegt.

Frühwarnsignale erkennen

Wenn wir uns ein Gespräch selbst nicht zutrauen (was völlig in Ordnung ist), ist es umso wichtiger, eine andere Lehrkraft oder eine Sozialpädagogin / einen Sozialpädagogen hinzuzuziehen. Auch wenn wir selbst „nur“ Hilfe organisieren, kann dies lebensentscheidend sein und ist somit alternativlos, auch wenn es uns nicht leichtfällt. Doch nicht nur wir können aktiv auf Schülerinnen und Schüler zugehen. Auch sie wählen sich ihre Bezugspersonen selbst aus. So kann es passieren, dass sich ein Jugendlicher uns in seiner Not anvertraut und wir entsprechend reagieren müssen. Unsere Aufgabe besteht also darin, an unseren Schulen eine Kultur des Hinsehens und des Ansprechens zu etablieren. Die weiterführende Arbeit mit den Jugendlichen vertrauen wir dann den Erziehungsberechtigten und gegebenenfalls Expertinnen und Experten an. So kann flankierend zur elterlichen Unterstützung der direkte Weg zu einem ersten Expertengespräch (Psychologin/Psychologe, Psychotherapeut/-therapeutin, Psychiaterin/Psychiater) hilfreich sein.

Resilienzfördernder Unterricht

Lehrkräfte können psychische Erkrankungen nicht verhindern, aber wir können viel dafür tun, Heranwachsende psychisch zu entlasten und sie zu stärken.

Es ist wichtig, dass wir Lehrkräfte unabhängig von den Rahmenbedingungen, unter denen wir unterrichten, den Mut haben, die uns anvertrauten Heranwachsenden ganzheitlich zu begleiten, freilich ohne dabei aufdringlich oder übergriffig zu sein. Die letzten Jahre haben gezeigt: Wir werden, bei (oder wegen?) aller Belastung, immer sensibler für die Nöte der Schülerinnen und Schüler. Das gibt uns in unserer durch Klimawandel, Kriege und Krisen geprägten Zeit Grund zur Hoffnung; für die Schule, aber auch für die gesamte Gesellschaft.

 

Möglichkeiten zur Fortbildung und Prozessbegleitung an Ihrer Schule finden Sie bei der RAABE Akademie: https://www.raabe-akademie.de/

 

Literatur:

  • bptk (2020). Fast 20 Prozent erkranken an einer psychischen Störung. BPtK-Faktenblatt „Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen“. URL: https://www.bptk.de/pressemitteilungen/fast-20-prozent-erkranken-an-einer-psychischen-stoerung/ (14.01.2025).

  • Erfolgreich unterrichten in Krisenzeiten – Materialien, Tipps und Strategien für Lehrkräfte: Krisen verstehen, im Unterricht erarbeiten und Gemeinschaft stärken (2024). Stuttgart. Dr. Josef Raabe Verlags-GmbH.

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